Interview mit Gregor Gysi über den G7-Gipfel
Das LandesPressePortal hat mit dem Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag,
Herrn Gregor Gysi, über den G7-Gipfel gesprochen.
LandesPressePortal:
Herr Gysi, am 7. Juni 2015 findet in Krün der 41. G7-Gipfel statt. Die Russische Föderation nimmt nicht am G7-Gipfel teil. Wie bewerten Sie diesen Ausschluss?
Gregor Gysi:
Die Bundeskanzlerin hatte nicht den Mumm, Herrn Putin einzuladen. Wer glaubt, dass man in der Friedens- und Außenpolitik vorankommt, indem man ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine Vetomacht im Sicherheitsrat, eine Atomwaffenmacht, das militärisch stärkste und größte Land Europas, Russland, zu isolieren versucht, kann nicht ernstgenommen werden. Das ändert natürlich nichts daran, dass Kritik an Putin und seiner Regierung notwendig ist.
LandesPressePortal:
Beim G7-Gipfel werden auch Themen wie Umwelt und Klimawandel in Debatten besprochen. Der Gipfel findet jedoch ohne die Volksrepublik China statt. Ist es Ihrer Ansicht nach möglich, eine globale Klimapolitik auch ohne China zu besprechen?
Gregor Gysi:
Ohne Russland und vor allen Dingen ohne China sind Gespräche zum Klimaschutz ziemlich albern; die bringen nichts. Allerdings gibt es eine Chance, dass man sich jetzt selbst mit China verständigen kann. Weil die Luft in Peking so schlecht geworden ist, und die Luft macht nicht halt vor dem Politbüro, auch nicht vor dem Partei- und Staatschef. Wenn es die Menschen selbst betrifft, werden Sie gelegentlich einsichtig.
LandesPressePortal:
Die Vereinigten Staaten von Amerika werden am Gipfel teilnehmen. Sind Sie der Meinung, dass auch die globale Überwachungs- und Spionageaffäre besprochen werden muss?
Gregor Gysi:
Von der Bundeskanzlerin war ja schon in ihrer Regierungserklärung im Bundestag zum G7-Gipfel keine einzige Äußerung zum Spionageskandal, der langsam zu einer Staatskrise wird, zu hören. Die NSA forscht Deutschland komplett aus und behandelt uns immer noch wie ein besetztes ehemaliges Feindesland. Das muss aufhören. Die deutsche Wirtschaft ist davon betroffen, europäische Regierungen sind davon betroffen, die EU-Kommission ist davon betroffen. Die Mär, dass das Ganze der Terrorismusbekämpfung dienen soll, ist damit widerlegt - vielleicht ein kleiner Anteil; aber der ganze Rest ist politische und Wirtschaftsspionage. Das ist beim besten Willen nicht hinnehmbar, und es ist strafbar. Die Bundeskanzlerin muss deshalb endlich Rückgrat gegenüber der US-Administration zeigen. Der G7-Gipfel wäre eine gute Gelegenheit dazu. Umso mehr als ja mit BND-Hilfe auf die französische Regierung ausgespäht worden ist.
LandesPressePortal:
Bei Twitter haben Sie die Kosten des Gipfeltreffens kritisiert. Wo werden Ihrer Ansicht nach dringender Investitionen benötigt?
Gregor Gysi:
Das liegt auf der Hand, wenn man sich den Zustand von Brücken, Straßen, Schulen anschaut. Wir müssen in die Bildung investieren, die Bekämpfung der Fluchtursachen braucht Geld, bei der digitalen Infrastruktur hinkt Deutschland hinterher. In den Kommunen hat sich ein Investitionsstau von mehreren Hundert Milliarden Euro aufgebaut.
LandesPressePortal:
Ein Thema des Gipfels wird die Stärkung von Frauen bei Selbständigkeit und beruflicher Bildung sein. Gibt es Ihrer Meinung nach in Deutschland erhebliche Defizite?
Gregor Gysi:
Das zeigt ja schon dieses Miniquötchen, das die Koalition für ein paar Dutzend Aktiengesellschaften beschlossen hat. Noch weitaus gravierender ist allerdings, dass wir nach wie vor in Deutschland nicht gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit haben und die so genannten „Frauenberufe“ unterdurchschnittlich bezahlt werden. Wieso eigentlich bekommt eine OP-Schwester oder ein Kita-Erzieherin so viel weniger Lohn als der Stahlarbeiter und der Kfz-Schlosser in der Autoindustrie. Hier muss sich etwas ändern. Ob da vom G7-Gipfel die richtigen Impulse ausgehen, wage ich allerdings zu bezweifeln.
LandesPressePortal:
Garmisch-Partenkirchen hat wegen Hochwassergefahr das Protestcamp beim G7-Treffen untersagt. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Gregor Gysi:
Zunächst einmal muss man die Frage stellen, wieso eigentlich sieben Staats- und Regierungschefs meinen, Weltpolitik machen zu können? Wie kommen die darauf, dass sie die UNO ersetzen dürfen? Wie kommen die darauf, sich anzumaßen, für alle anderen Staaten zu entscheiden. Das ist völlig indiskutabel. Deshalb wird es einen sehr breit angelegten Protest dagegen geben, und ich meine auch: zu Recht. Den wird man auch nicht dadurch unterbinden können, dass man unter fadenscheinigen Vorwänden ein Protestcamp untersagt. Wenn sich sieben Staats- und Regierungschefs treffen, scheinen die Sicherheitsbehörden fast durchzudrehen. Das Schengen-Abkommen wird mal vorübergehend gekündigt, das Grundrecht auf Demonstration wird eingeschränkt. Natürlich muss die Sicherheit für die sieben Delegationen gewährleisten werden, aber bitte nicht übertreiben. Und die Demonstrantinnen und Demonstranten müssen ungehindert und, wie ich mir wünsche, völlig gewaltfrei ihr Grundrecht wahrnehmen können.
Das Interview führte Michael P. Künne